Samstag, November 6

Soğuk bir Eylül günü.

Meine Traurigkeit trägt die Nacht als ihr Lieblingskleid, sie besitzt aber kein passendes Stück untertags, so legt sie sich eng an mich heran. Sitzt an meiner Haut, schnürt zu, macht sich unsichtbar, sodass sie keiner bemerken kann. Manchmal, in ganz plötzlichen Momenten, wie aus einem Riss der Situation heraus, wie ein Herschlag, der fehlerhaft zweimal klopft, ein zu lauter Wimpernschlag und ich schäle mich der Menge heraus, streichle unbemerkbar über meine Haut, frage mich, woraus ich denn heute so gemacht bin. Wo ich anfange und wo meine Traurigkeit beginnt. Wo ich wahr oder doch zu sehr vorgegaukelt bin.

Um sie von mir zu unterscheiden, sie zu befremden, sie festzuhalten, gebe ich ihr einen Namen. Eylül, soll sie heißen. Eylül, wie ein kalter frostiger Septembertag, der die Sonnenstrahlen als einen blutigen Kranz trägt. Meine Mom hätte mir beinahe diesen Namen gegeben, wie passend wär er doch nur für so ein trauriges Mädchen wie mir gewesen.

Eylül hat Narben, auf den Armen und den Beinen, die vom tiefen Ende eines scharfen Wassers stammen und wenn man genauer hinsieht erkennt man auch die leichten Gruben in ihren Fingerspitzenfalten, wie sie kraftlos versuchte alte Teile eines Standleymessers abzuknacksen. Ich frage Eylül bereits kurz nach ihrer großen Geburt, ich war da wohl 11 oder höchstens 12, wie es sich denn anfühlt, dieses ganze Blut. Später hab ich selbst die Frage oft gestellt bekommen und wurde jedes Mal davon bisschen mehr getroffen: „Es fühlt sich nicht immer alles nach etwas anderem an.“ Damals, mit wohl genau 12 nickte ich, als ich die Antwort bekam. Heute nicken andere, wenn sie sich getraut haben so respektlos zu sein.

Eylül hat Tage, an denen sie sich an Wünsche festklammert. Ich trau mich nie ganz ihr zu sagen, dass ihre Träume lediglich aus Zuckerwatte bestehen und ein bisschen Seifenblasen. Aus pink-gelben Blumen, deren Farbe auch meine Finger beschmutzen. Eylül trägt die Hoffnung ganz tief in ihrem Herzen, so tief, dass ihre Hoffnungen bald angefangen haben dort ein Loch einzusetzen, ihre Last lässt sie selbst nicht mehr wahr werden. Eylül wurde früh verwundet und früh hat sie verstanden, dass sie allein aus Wunden besteht.

Manchmal liegen wir zusammen im Bett, hellwach, die leere Decke wird unsere Leinwand. Sie zeichnet  verschiedene Menschen, während ich Luftlöcher mal', oft aber auch meine eigenen Eltern. Eylül ist manchmal böse, aber vor allem immer enttäuscht, denn es war schlussendlich mein eigenes Blut, das ihr als allererstes die Ruhe stahl und mir den Frieden verbot.

Aber anstatt den Kopf hängen zu lassen, haben wir einfach früh gelernt uns von dem Geräusch meiner Füße begeistern zu lassen, wie ich von Dingen weggehe, die mich nicht mehr leben lassen, es könnte mir das Herz zerreißen, aber zurückschauen ist nicht drin. Wir nehmen nur Abschiede, die für die Ewigkeit geformt sind. Also sind wir ständig auf der Suche nach einem neuen Ort, dem wir erneut stammen. Eylül hat‘s nicht so mit der Vergangenheit, ihre Mut besteht darin sie abzustreifen, sie verlassen wie das neue Land, dessen Grenzen wir Hand in Hand überschreiten. Und wir sehen dabei zu, wie mein Leben sich schließt und wieder öffnet - wie ein Scharnier, wie ein Flügelschlag, wie diese markante Stelle in dem Lied, in dem es über die Klippe springt; eine Art Explosion, wie im Auto auf der Rückbank, Augen schließen und die Hände aus dem Fenster ausstrecken, eine Art völliger Neuentdeckung.

Eylül ist 11 jetzt, 13 Jahr jünger als ich. Aber bereiter für die Lebensaufgaben, die sich vor meinen Augen ausbreiten. Sie möchte wissen, ein einziges Mal sehen, dass ich, wer auch immer ich bin, auch mal für eine kurze Zeit am freien Atemzug häng.

Und ich weiß nicht, ich scheine nicht unmittelbar viel mehr zu sein. Aber ich geb mir ein Sternchen dafür, dass ich mir dieses Jahr beim Auspusten der Kerzen nicht den Tod gewünscht hab. Ich geb mir ein zweites dazu, weil ich heute nicht mehr ganz so verkrampft war als ich mit einer halben Panikattacke vor der großen Menge stand. Und ein drittes, denn eine Aufzählung scheint immer einen dritten Punkt zu beinhalten. Also mal ich mir ein drittes Sternchen auf meine unsichtbare Pinnwand, während die Sonne in mein Zimmer strahlt, einfach nur dafür, dass ich schon wieder ein bisschen mehr bin, nur weil heute wieder die Sonne scheint.

Denn bisschen habe ich gelernt, das Glück im Herzen zu tragen. Ein bisschen kann ich heute sagen, dass es nicht immer meine Schuld zu sein scheint, wenn Eylül dicht an meinem Nacken weint. Manchmal ist es einfach der Herbst und manchmal einfach ein Mann, der den Winter beherrscht.

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