Samstag, März 26

Der Sommer bricht nicht mehr ein.

Ich war beides und keines zugleich - vom Höhenflug bis zur absoluten Stille am tiefsten Punkt der Erde. Ich war das High-sein vom Sonnenlicht in der Morgenröte, wenn das Gesicht eintaucht in Welten und unkontrollierbare Gefühle; aber gleichzeitig auch das Stundenlang-an-die-Decke starren, denn es gab keinen Zweck für die Bewegung meiner Glieder, ich ließ sie einfach verharren. Ich war das lauthals Lachen am Esstisch mit meiner Familie, und das stechende Gefühl in der Brust zeitgleich, weil ich diese Familie schon vor Jahren verloren habe. Ich war die liebevollste Person, sie hatte zum Verschenken die allergrößte Liebe und ich verspreche dir, sie kannte keine einzige Grenze - sie war weit nach oben offen und hatte so viel Platz verborgen; und dann war ich aber wieder Schwere, wenn ich in einer zwischenmenschlichen Diskussion herausgefordert wurde. Ich war der Moment bevor man zusammenbricht, doch der Fall kam einfach nicht. Das erbrechende Gefühl im Bauch und der Stock im Hals und die Panik am Nacken zogen sich unendlich. Ich war ein Schmetterling, der Wind wehte mir durch die Flügel und wieder ins Gesicht, den Gewaltakt hatte ich fast vergessen, der bereits beim zweiten Flügenschlag auch schon wieder alles Existierende erlöschen ließ. Ich zählte die Stunden im Erker, die Sonne ging links hoch, rechts wieder unter. Jahreszeiten zogen sich vor meinen Augen, ich saß immer noch am Fenster. Der Herbst ließ die Blätter an den Straßenrändern ansammeln, ich trat in sie herein, wirbelte sie rum, lachte und vergaß all die Momente des Jagens, wie sie es mit meiner Lebensfreude taten. Der Winter schlug mir auf die Finger, doch es waren nun mal die verbotenen Dinge, die mir immer im Mittelpunkt halfen. Ich dosierte die Pillen nach Farben, ein bisschen meiner Zwangsstörung Genugtuung anvertrauen. Doch es kam der Frühling, ich tanzte mit nackten Füßen über den Parkettgrund, ein starker Arm drehte mich im Kreis herum. Ich habe gar nicht bemerkt, plötzlich war der Sommer da und ich hielt eine ganz andere Hand.

Und jetzt bin ich keines mehr davon. Weder Höhenflug, noch der tiefste Punkt. Ich hänge meist am seidenen Atemzug und lange nach Luft. Meine Lungen zucken aber nur die Schultern, es interessiert sie gar nicht - diese riesige Kluft. Ich versuche mich zu erinnern, wie sich glücklich sein denn anfühlte, ich stocke, ich überspiele - lächeln kann ich ja trotzdem noch. Also lächel ich grad mein Leben durch, aufregen tut mich eh keiner, das völlige Ausschalten kommt sofort wie ein Trost. Ich frage mich, verdammt, Çağla konzentrier dich. Aber schäle mich der Menge heraus. Eine Person lacht und ich denke mir einfach nur: wo ist das Gefühl hin, was ist, wenn ich das jetzt nachmache? Und wieder, jemand Neues fragt: Wie geht es dir? Und ich denk mir: Boah bitte halt einfach mal deine Fresse. 


Doch ich will gar nicht so sein, ich lege mich auf den Boden und schließe meine Augen fest zu, mache mich ganz ganz klein. Aber es gibt heute schon wieder nichts anderes zu tun, die Gleichgültigkeit zieht mir die Maschen an den Haarenden fest zu, schnürt mir die Schuhe und schickt mich auf die Straßen los, ich wandere wieder ziellos rum. Es gibt schon wieder nichts zu fühlen, nichts zu tun. Zähle die Sekunden zu Minuten, reihe die Minuten zu Stunden, hoffe, dass mich zumindest die Wut über die Dinge umgibt. Ich will doch einfach nur fühlen, dass in meinen eigenen Winter auch endlich dieser verfickte Sommer wieder einbricht.



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