Samstag, September 18

Alles war schön und nichts tat weh.

Ich erinnere mich am nun nicht mehr vorhandenen Glastisch zu sitzen und mit den bloßen Händen indisch zu essen - zu viel gelacht, zu blöd getan - würde diesen ersten Moment nicht eintauschen gegen Tausende von Welten. Denn als der Glastisch brach, weil der Ziegel zu schwer drauf lag, dachte ich mir: wie viel schöne Schwere kann ein Dach denn halten? So viel Architektur gesehen, verstehe jetzt aber erst, wie viele verschiedene Säulen es braucht, um solch ein Dach zu tragen. Dann erinnere ich mich an die rot-blaue Schminke um die langen blonden Wimpern, auch den golden-blauen Strich um ein anderes Augenpärchen - wie in aller Welt konntest du dich so gut schminken-, wie mein Leopardenkleid eng an einer anderen Haut anlag und der ganze Abend Bunt und Glitzer um sich warf. Dann das erste Mal mit der Gang zum Flohmarkt - wie alle Muster der Welt auf Stoffresten sich sanft um uns schmiegten und Szenen aus der Vergangenheit sich in der Gegenwart einkriegten. Ich glaube mich an das Gefühl zu erinnern, als hätte unsere Gemeinsamkeit kein Stoppschild im Wege stehen. Gleich darauf ne Party aus den 80ern - die freie Luft, die offene Haut, etliche Liebe, ich könnt es immer noch greifen, würde ich einfach nur die Hand ausstrecken. Und ertrunken bin ich darin eine Woche später, als ich der Kleinen Alles Gute vorsang und sie mit demselben Lied auf mich zurücksprang. Das offene Ende war nie so unfassbar nah, ich befand mich inmitten einer unendlichen Kurve, die die Linie meiner Taille nachahmt. 

Und wir tun immer noch so, als würde ich nicht wegziehen; als würden die Gelächter, die langen Atemzüge, die nach Kakao mit Zucker und Zimt riechen, die Wärme, die ich nur vom Kachelofen im Winter kenne und das Aufblühen, als wäre es vom frischesten Frühling, uns nicht ausgehen. Es liegt auf unseren Zungen, schwer in unserem Herzen, versteckt in kleinen Schmuckkästchen in den Hinterköpfen, all in unseren Geschehen. Es ist ein verborgenes Spiel, wir tun alle so, als könnten wir uns gar nicht erst verlieren; die Niederlage steht uns diametral entgegen, gegenüber all unserer Jugend, unserem Sein und all unseren Regeln. Die Freiheit in Großbuchstaben, unsere Füße kaum mehr auf dem Boden - ich denke da an das rege Plätschern der Regentropfen, wie sie auf die Oberfläche des Wassers eintreten - diese winzig kleinen Patronen - und wir mitten drinnen untertauchen. Keiner hätte die Kraft uns den Moment zu rauben. Wir singen uns Hymnen, die laut gegen die Berge sich mauern und nicht mehr aufhören wiederzuhallen, nie aufhören wie Wellen gegen Sanddünen zu krachen. Singen lauthals gegen jeden verdammten Sonntagsmorgen, nur dann aufhören, wenn uns vor Liebesgeschrei die Stimmen versagen. Wir sind eingetaucht unter Träume und Wunschesmeeren, das Licht am Horizont durchquert nicht nur Räume, sondern auch unsere Seelen, zieht Streifen, hinterlässt Erinnerungen - wie in aller Welt, sollten wir denn nicht einem verdammten Gemälde entstammen?

Aber wir verschweigen unseren Stolz, wollen nicht, dass er nach Eitelkeit riecht, wenn wir mitten in der Menge mit den Füßen stampfen und die Liebe, Freiheit und Gemeinschaft plötzlich mit so vielen anderen Menschen teilen. Verdammt, es tropft wieder einmal so viel Schönheit von unseren Fingerspitzen und ich spür all die Schmetterlinge in meinem Magen.

Ach, wie wir nur alle so tun, als wüssten wir nichts groß von Familie, wie wir es fast schon verschweigen, aber ich sehe uns bei jedem einzelnen Plenum an und erinnere mich daran, wie weihnachtliche Familienkrisen ablaufen. Zu viele Menschen, die sich lieben, aber gern neckisch auch mal aufeinander krachen.

Wie wir alle so tun, als würde ich nicht gehen, als würde der Moment, in dem wir alle unsere Arme um uns legen und zu Beggin' unseren Verstand verlieren, niemals an uns vorbeiziehen. Man sagt, wer ein Zuhause hat, braucht keine Heimat mehr, bei euch ist nicht nur ein verdammtes Dach, sondern ein ganzes Daheim enthalten. 

Wir tun so als würde ich nicht gehen; dann lasst uns auch nie aufhören uns gegenseitig die Liebe aufzusagen, denn ich liebe euch, ich liebe euch alle so sehr, jeden einzeln. Und weil es mich so sehr an den Moment erinnert, indem ich ein ganzer echter Dachziegel wurde. Can I get a "Oh yeah".

@dachziegelflow



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