Samstag, Dezember 5

Endlos endlich sein.

"Ist es möglich, dass ich überhaupt noch lebe?", das war einer der nerventörnenden Fragen, sie lagen mir um 4 Uhr morgens wie Würmer auf der Haut und zerrten an Fleisch und Blut, nagten an meinen Gedanken, als wären sie aus kunterbunten Ahornblätter. Zugegeben, wahrscheinlich waren es meine eigenen Gedanken, die an andere stoßen, die wiederum zu mir gehörten. Ich konnte mich daran gewöhnen schweißgebadet aufzuwachen, in den Kissen schreiend einzuschlafen. Konnte mich daran gewöhnen meine eigene Haut zu verunstalten. Auch daran, dass meine Lippen wegen den Bissen anfingen zu bluten. Das, was die Krankheit meinem Körper antat, das war eigentlich ganz okay. Jetzt, wenn ich zurückblicke, kann ich mich gar nicht daran erinnern, wie es war, ohne Narben zu leben. Welche Probleme hatte ich da? Wovor schämte ich mich damals, als ich aus dem Haus ging? Was für ein Geheimnis lag mir so knapp unter der Haut, dass ich nichts, gar nichts außer die Verengung spürte?
Wie gesagt, die Transformation auf meinem Körper war ja "okay", ich konnte damit leben. (Und mit okay meine ich, Blut schreien in der Dusche, wenn jeder weg ist von meinem Zuhause.) Aber diese Leere, diese endlose Leere: keine Liebe, oder eine verdammte Freundschaft konnte sie füllen. Es war ein endloses Loch, etwas zu tiefes, um gefüllt werden zu können. Ich weiß gar nicht mehr was es ist, wo das Problem liegt, denn jedes Mal, wenn ich verzeihen will, kommt so viel mehr, viel mehr ins Spiel. Ich kann die Leere in mir gegen die Rippen krachen hören, ich wurde auf 'nem Segelboot ganz alleine in das weite, wilde Meer gelassen. Wellen schlugen sich um mich, nicht einmal jetzt hören sie auf mich von einem Ende zum nächsten zu schieben. Ich dachte, ich würde das Meer für seine Endlosigkeit lieben, doch schlussendlich war es genau diese Eigenschaft, was mich am meisten erschreckte. Dieses Unendliche, die Welt des Nie-wieder-seins und des Immer-wieders. Ich war gar nicht betrunken, aber aufgrund der Meeresfarben fühlte ich mich endlos blau. Schon wieder dieses Wort; für immer und ewig endlos. Heute verrutschen Welten, Planeten, sogar Universen von ihrer Stelle zur nächsten, nur ich bin ganz alleine stehen geblieben. Die Leere wirkt nun noch größer und grausamer und nach diesem Halt kann ich verstehen, ich werde aus ihr nicht hinauswachsen. Also sollte ich eigentlich aufgeben zu versuchen etwas anderes, vielleicht sogar besseres als diese Kluft in mir zu sein. Nicht wahr?
Aber so ist es nie, so kommt es am Ende ja doch nicht. Die Krankheit weiß den Schmerz der Hoffnung, der surrealen Träumen, meilenweit entfernt von der greiffesten, mackelvollen Realität, zu schätzen. Ein Vogelzwitschern, das Lachen zu einer Comedy-Show, mein Lieblingslied oder auch nur ein Gedicht reicht und die Hoffnung steht wieder auf, Haare streng am Nacken zusammengebunden. Sie sucht nach abenteuerlichen Antworten, bis ein Wort kommt oder eine Berührung, um ehrlich zu sein, ein enttäuschter Blick reicht auch schon.. Und sie stürzt ein, sie liegt am Boden, wieder einmal ganz allein. Es ist ja nicht wirklich der Schmerz, die Müdigkeit oder dieses ahnungslose Etwas ganz tief in mir drein, es sind die riesigen Tiefen, Löcher in meinem standfesten Boden, die Abstinenz der verstorbenen Hoffnung, die mich heute wieder einmal zerreißen.


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