Donnerstag, Februar 26

Ich glaube, ich kann Farben hören.

Meine Kunstgalerie hat ein Herz. Sie ist Poesie auf zwei Beinen. Sie ist ein unendlicher Film, kann ja sein, vielleicht spricht sie so lang. Sie ist eine riesige Palette aus Theaterstücken, weil sie sich bewegen kann. Manchmal Drama mit Tränen in den Augen und Bruch im Herzen. Ein anderes Mal Komödie, nur mit lautem Lachen. Sie fühlt sich an, wie wenn man barfuß über den Asphaltboden tanzt und man atmet kaum, man keucht und lauscht, hört wie die Melodie einen einnimmt und deine Füße bewegen sich unbewusst nach rechts und links, vor und zurück, um 360 Grad um dich herum; nun, so zieht er mich an, ohne meiner Kontrolle über meinen Körper. Er hält, hält und hält, lässt nicht los, hält mich gefangen, bin ihm für immer verfallen. Meine Kunstgalerie hat Ecken, die Wand hier und dort zerrissen, aber mit neugestrichenen weißen Wänden, mit hereinbittender Architektur. Sie ist sanft und warm wie eine alte Taverne oder kalt und stürmisch, vielleicht auch beängstigend, wie ein Wintertag auf einer Seitengasse. Wenn sie auf mir liegt, dann verfallen mir die Worte; Bruchstücke voller Silben, wie eine Buchstabensuppe. Sie ist eine Gemälde, mit rosa Blüten, die von einem Baum runtergerissen werden. Der Wind zwischen meinen Haaren, Fingerstriche, die auch mich zur Kunst machen. Pinselstriche, die mich für immer zu ihrem krönen. Und Lippen liegen mir auf dem Hals, Unterschrifte des Künstlers. Er sagt, dich hab ich gemalt. Heißer Atem auf meinen Wangen, glühende Herzen, schwingende Fasern. Meine Kunstgalerie dreht sich im Kreis, Schwindelgefühl nach der Ekstase, Liebe machen auf dem nassen Boden einer Straße. Sie ist groß, liebevoll, sie greift und zieht, macht und lasst, lebt und hasst. Sie liebt, zusammengefasst. Und Töne schwingen in der Luft, D-Dur, A-Mol, da gut, da absurd. Ich glaube, ich kann Farben hören. Musik schmecken. Bitteres zeichnen. Schweres atmen. Meine Kunstgalerie setzt mich so gesagt auf Drogen, zieht an meiner Haut, beißt und reißt. Sie kennt stellen aus der Bibel, Engelslieder, Teufelsspiele, Liebesgeschichten, Todesgedichte. Sie verschwört, Hymnen auf meiner veralteten Haut, Prophezeiungen in meinem Mund. Sie schreit, sie stöhnt, sie bebt, sie tönt. Meine Galerie liegt auf meiner Haut, zählt meinen Atem, lässt ihn, wenn es sein muss, wenn sie es will, hier oder dort, bisschen oder mehr, laut oder leise, irgendwie, aussetzen. Ich könnte keuchen, nach Hilfe schreien, um Erlösung bitten. Aber ich tue es nicht, weil nichts auf der Welt schöner als das ist.

Meine Kunstgalerie heißt Matthias. Er lebt in Geschichten, die in den Weltkriegen erzählt werden. Sogar mit blauen Augen und blonden Haaren. Aber kein Mitläufer von Hitler. Oh nein. Mein Matthias erzählt in dunklen, halblauten Nächten von Kriegsgeschichten, wie Menschen in Blut zu Grunde gingen. Er streichelt mir die Haare, bringt mir neue Lektionen bei. Unrecht mit Unrecht ergibt nicht gleich Recht, sagt er, lässt mich nachdenken, im Blut erfrieren aufgrund von Rachen, die ich geplant hatte. Mein Matthias steht mir zur Seite, wenn ich die größte Feministin spiele, er sieht zu, wie ich mich mit Mut und auch Wut hineinsteigere. Mein Matthias ist stolz. Er ist stolz, wenn ich meine Meinung über den "Ruf" sage. Er ist stolz, wenn ich Tradition von Schwachsinn unterscheide. Mein Mann ist still, wenn ich losschreie. Er ist der, der mich zu seiner Brust holt, wenn ich zusammensinke. Mein Mann ist kein Gold, kein Diamantenstück oder Platin. Er ist Kunst, Poesie, Dichtung, Wissen, Philosophie. Er ist Liebe. Er ist mein Blut, mehr als die Triebe, mehr als die Gefühle. Er ist Mensch, der, den ich um drei Uhr nachts mit blutigen Augen, trockenen Lippen, kollabierenden Lungen liebe. Der, für den ich noch lebe.


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