Samstag, Dezember 27

Die 9, ein Brief.

Übermorgen werde ich um diese Uhrzeit auf dem Weg zu dir sein, das fühlt sich gut an, sehr gut sogar.
Ich bin so verspannt und träume andauernd schlecht. Es ist soweit gekommen, dass sogar mein Schlaf, das einzige, was mich rausrettet, zerstört wird. Jetzt kann ich wirklich sagen, mir gehts schlecht. Wahrsch sehr schlecht. Ich weiß nicht, vielleicht ist das ein Grundmechanismus, ein Instinkt, dass ich es nicht so schlecht einstufe, als es in Wirklichkeit ist. Ich denke, dass hier ist meine 8 auf der Skala 1-10. 9 sind die Momente, in denen ich bewusst spüre, dass ich nicht atmen kann, in denen ich spüre, wie kaputt ich eigentlich bin. Die neun, sie ist meine Realität. Und 10, diesen Schmerz will ich nicht spüren, denn das, das wärs dich zu verlieren. Ich weiß nicht, ob irgendetwas schlimmer sein könnte als das, als dich zu verlieren. Ich glaub früher hätte ich Tobias auch als 10 eingestuft, vielleicht war er einfach 9,9. Kann auch gut sein, dass du es warst, was ihn nicht 10 gemacht hat. Ich danke dir.
Es gibt ein einziges Lied, bei dem ich jedes Mal die Augen rausheule. Es spielt gerade und ich kann spüren, wie das Herz sinkt, fast schon beruhigend. Wenn eine Träne fließt, dann fließt sie auch nicht in Strömen, unter Schreien oder sonstige anstrengende Situationen. Sie fließt stumm über die Wange. Beruhigend und aufwühlend zugleich. Vielleicht liebe ich dieses Lied genau deswegen. Beruhigend und aufwühlend zugleich.
Irgendwas ist, Matthias, irgendwas ist tief in mir drin und wird nicht loslassen, bis ich sterbe. Es fühlt sich an, als würde etwas anderes außer mir in diesem Körper leben und wir wissen beide nicht, wie einen einzigen Körper teilen, außer in seltensten Fällen, nun gut, so selten sind sie gar nicht. In diesen Fällen passt er sich selten an mich an, das sind zum Beispiel in den Momenten mit dir, wo es sich anfühlt, als würd hier nur ich leben. Aber meistens ist es umgekehrt, als wär ich in einem fremden Körper. Deswegen auch die ganzen Schnitte, um mich selbst hier rauszuretten. Aus einer Haut, die gar nicht mir zu gehören scheint. Andere wollen andauernd behaupten, ich würde es für Aufmerksamkeit tun, komisch, wenn alles, was ich will ist, alleine zu sein. Dass andere ihre Finger von mir abnehmen. Vielleicht bin ich deswegen ja so einsam hier. Ich weiß nicht, ob ich nicht auch dich von mir wegschieben würde, wenn da wärst, da wohnen würdest. Es tut weh, wenn andere ihre Haut auf meine legen wollen. Ich spüre, wie sie zusammenzucken, wenn sie das Hässliche mal erreichen. Ich weiß nicht, ich wäre ja auch gern schön. Und würd ja gern auch narbenfrei sagen, aber auch wenn ich sie nicht hätte, würde ich sie erneut machen.
Denn andere fragen mich warum und ob ich nichts dagegen tun kann. Versteh nicht, warum sie mich das andauernd fragen, egal wie oft ich ihnen die Antwort gebe, sie fragen immer wieder von vorne. Ich kann nicht nein sagen, ich kann nicht aufhören, wenn es soweit kommt. Sie verstehen nicht, dass das auch eine Sucht ist. Ich bin dankbar, dass es sie gibt, wüsste sonst nicht, wie meine Hände beruhigen, wenn sie anfangen zu zittern oder meine Lippen von meinen Zähnen zu retten. Wie oft hat sich mein Mund nur mit Blut gefüllt, nur weil ich die Kontrolle verlor. Und dann, dann sagen sie, ich tue das nur, damit sich Augen auf mich richten, während ich am liebsten diese Augen aushöhlen würde. Wie können Menschen so etwas behaupten, wenn ich daheim sitze und aufkeuche und meine Organe sich selbst in einer Schlacht verlieren, wer von ihnen überlebt, ohne zu wissen, dass wenn einer stirbt, alle sterben zu müssen.
Und meine Rippen drücken sich zurzeit fester in die Organe rein, langsam denke ich mir, es ist vielleicht psychologisch begründbar. Vielleicht hängt das alles mit meiner kranken Psyche zusammen.
Und du hast einmal gesagt, ich soll endlich mal über die Behandlung lesen und das alles für den Moment auslassen. Und meine Antwort war, dass das eh ein Kapitel in meiner VWA ist, doch jetzt hab ich sie herausgestrichen.
Denn ich glaube nicht, dass man verheilt werden kann. Denn warum sonst würden alle Bücher von einem Rückfall reden. Warum sollt ich mich behandeln lassen, um wieder und wieder in das selbe Loch zu fallen. Warum Hoffnungen einbilden lassen, um mich wieder loslassen zu lassen. Andere verstehen nicht, was eine Depression ausmacht. Das macht mich traurig. Vielleicht fühle ich mich auch deswegen einsam. Ich weiß es nicht, Gott, ich weiß gar nichts mehr.
Weiß nicht mal mehr, wer ich selbst bin.
Und dann sollt ich Menschen etwas von mir geben und sie bitten es zu verstehen, wenn selbst ich mich schwer tue zu verstehen, was ich in der Realität bin. In der Zahl 9 bin.


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