Mittwoch, Februar 12

l'esprit de l'escalier

"Kannst du vielleicht aufhören auf meine Arme zu starren?" Sie sah hoch. Ihr Blick, der gehorsam jede Bewegung meiner Arme folgte, blieb in meinen Augen stehen. Ihr Mund öffnete sich leicht, stumme Worte quälten sich raus. Ihre blassen Lippen schienen haltlos in der Luft zu hängen, als würde sie sie nie wieder zukriegen. Kein Wimper zuckte ihr, sie sah aus wie eine Statue, verlassen im Nichts, als hätte mein ihr jede mögliche Freiheit geraubt. Ich könnte nicht einmal sehen, ob ihre Brust sich hob und sank. Sie kam mir wie eine Tote vor, nur mit lebendigeren Augen, die in den Farbtönen des Grüns anfingen zu verschwimmen.
Die Panik holte mich ein, biss in meine Glieder. Wie tausende von Würmer kroch sie mir unter die Haut, ließ dort Adern aufplatzen. Die Angst ihre Wut rausplatzen zu sehen, hing leise in der Luft, wie der Nebel, der kaum mein Blick sperrte, aber die Luft erstickend werden ließ. Doch ich sah nicht weg. Da war eine Frau vor mir, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Auf einmal hatte sie Macken in ihrem wunderschönen Gesicht. Das lange schwarze Haar sah plötzlich struppig aus und als würden sie ihr im nächsten Augenblick ausfallen. Die Blässe in ihrem Gesicht ließ sie kalt aussehen und das winzige Grau in ihren Augen, gemischt in Grün, war auf einmal deutlich erkennbar.
Ich sah nicht weg, ich konnte nicht. Ich wollte mehr von dieser Frau. Ich wollte ihre Liebe, Zuneigung. Diese Frau ähnelte mir. Die langen, dunkelen Haaren lagen uns langweilig über die Schultern. Locken breiteten sich aus und ein paar Strähnchen fielen hinter die Ohren wieder zurück nach vorne. Zum ersten Mal hatte sie meine Blässe, die im Gegensatz zu meinen, ihre Augen hervorragend aussehen ließ. Ihre langen Wimpern schlugen aufeinander, das Grün verschwand, um gleich wieder deutlich hervorzutreten. Ich sah wie ihre Nasenlöcher sich leicht ausbreiteten und wieder kleiner wurden. Ich sah wie sie atmete. Sie hatte dünne Lippen, sie wäre fast ohne der oberen Lippe geboren, kommt mir vor. Dennoch passte ihr Mund perfekt zu ihrem Gesicht. Man sah die Knochen nicht direkt, sie war nicht dünn, genauso wenig fett. Fleisch umschlang ihre Knochen. Es sah hübsch aus, sie sah hübsch aus.
Und wir saßen einfach da, sahen uns an, entdeckten Sachen, die uns nie bekannt waren.

Dann stand sie auf, ging in die Küche. Alles Graue holte mich ein. Als sie wieder zurückkam, war sie die alte schöne Frau, die keine Ähnlichkeit mit mir hatte. Da war wieder Farbe in ihrem Gesicht, leichtes Rosa überquerte ihre Wangen und das Grün in ihren Augen war wieder im Vordergrund. Sie war wieder sie, die, die mir so weit entfernt war.

Hey, Mom. Ich liebe dich.

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