Montag, Oktober 21

Sie.

Da war ein kleines Mädchen mit einem wunderschönen Lächeln auf den Lippen. Ich kann dir sagen, sie liebte das Leben. Es sah doch alles kunterbunt aus. Vielleicht hatte sie Fehler, da und dort wieder einmal ließ sie sich auf Sachen ein, die falsch waren. Die Welt sah so groß aus und der Himmel viel weiter. Das Leben ging viel langsamer vorbei und sie genoss jede Minute, jeden winzigen Teil dieser Minute. Bei ihr bekamen die Farben Geschmack und die Freude tätowierte ihren Namen auf ihr Herz. Sie war doch glücklich, nicht? Sie zerplatze vor Glück, ertrank in Liebe und schenkte sich noch ein Gläschen Freude dazu ein. Und da war sie noch 10.
Ich kann mich nicht richtig daran erinnern, aber ich glaube, sie fing mit 11 an richtig zu schreiben. Sie experimentierte mit Sätze herum, sie waren einfach und dennoch von jeglicher Bedeutung.
Und dann war sie 13. Das erste Jahr, wo das Wort Tod in ihren Geschichten vorkam. Unübersehbar schmückte es hunderte von Zeilen, tausende von Meilen. Das was sie schrieb, es war verschmiert mit Blut. Es tropfte und ließ kugelförmige Flecken zurück. Sie war doch noch 13, so winzig klein. Dennoch war die Leere in ihren Augen so rießengroß. Nur ein Schuss und du wärst erlöst. Wie oft war dieser Satz dabei? Wie oft war der Gedanke bei ihr? Sie war doch noch erst 13 verdammt!, sie erblickte gerade erst mal das, was man richtig Leben nennen konnte. Und ihr erster Schritt hinein führte sie zur Klippe. Und der zweite, ließ sie springen. Sie fällt immer noch. Das schwarze Loch ist zu unendlich für sie. Nur ein Schuss und du wärst erlöst. Dann würde sie den Boden erreichen. Dann würde alles ein Ende nehmen.
Nun ist sie 16, immer noch so winzig klein, aber diesmal in der Ecke, weil sie Angst davor hat zu leben. Sie schließt die Augen, drückt sie weiter zu, bohrt die Fingernägel in das Fleisch, Tränen tropfen, das Herz zerstückelt. Sie will weg von hier, sieht das keiner? Sie will fort von hier, fühlt das einer?
Und jetzt gerade, sie zieht wieder Linien entlang des Arms. Seit dem ersten Mal, hat sie nie wieder vor Schmerz geschrien. Es waren immer Wutausbrüche, als sie den Kopf gegen die Wände schlug, als sie die Fingernägel oder die Klingen in das Fleisch hineindrückte. Sie schrie das Böse in ihr hinaus. Sie schrie, bis sich alles erlöschte.
Ich glaube, sie ist innerlich tot. Aber keiner fühlt es, weil ihr Lächeln so lebendig ausschaut. Ich glaube, ihre mit Tränen überzogenen Augen bestehen nur mehr aus Leere, aber keiner sieht es, weil die Schminke alles wieder ausbessern kann.

Heute weint und zittert sie am ganzen Körper, mit einem einzigen Satz: Sie wissen nichts.
Es ist doch so leicht; erzähl es ihnen halt. Sie hätte jetzt gelacht, weil es so absurd ist. Sie kann nicht, auch wenn sie wollte, sie konnte nicht.
Ihre Lippen beben wieder einmal, auf einmal ändert sich der Satz, den sie stundenlang wiederholte: Ich will nicht Aufmerksamkeit.

Nein, das will sie nicht. Denn wenn sie es bräuchte, könnte sie es sich holen, indem sie alles erzählte. Aber sie will nichts, auch keine Hilfe. Sie will den Tod, die Erlösung, die Flucht. Sie will es. Holt sie. Weg von sich selbst. Raus aus ihrem Körper. Dort, wo es friedlicher ist. Leben ist doch so schwer, Sterben ist leicht, irgendwie friedlicher.


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