Freitag, Mai 31

- Bring dich nicht um, bitte.

Bester Freund.
Ich.

Ich liebe es zu lesen.
Ja, lesen ist cool.
Da kann man sich in die Lage von einem anderen Menschen versetzen. Was für ein Mensch wärst du denn gern?
Ich glaube ein Junge, der nie aufgibt. Ein Kämpfer, der durchhaltet. Du?
Ich denke ein Mädchen, das ihre Träume verwirklicht und dafür auch alles gibt. Ich wäre ein Mädchen, das glücklich ist. Ja, genau. Ein glückliches Mädchen.
So ein Mädchen bist du schon.
Nein, noch nicht. Ich warte noch bis ich 18 werde. Dann ziehe ich aus.
Dann bist du frei.
Ja, genau. Dann spüre ich die Freiheit. Ich gehe auf die Straße und alles riecht anders. Ich werde die Freiheit schmecken. Alles wird voller riechen, ich werde die kleinsten Details wahrnehmen, weil da keine Menschen mehr existieren werden, die mich beschäftigen, die meine Gedanken beschäftigen... Ich weiß, ich rede nur Scheiße.
Nein, ich habe es gerade sehr interessant gefunden.
Scherz nicht. Mein Leben ist nicht interessant..
Warum nicht? Ich denke ganz anders.
Weil ich nie einen Durchbruch hatte, ich habe nie etwas geschafft, zu dem ich stehen kann und sagen kann; Das war's! Ich habe das nie getan, mein Leben ist einfach ... Ich weiß nicht ...
Langweilig?
Undendlich sinnlos.
Das tust du immer... Jedes Mal, wenn du anfangst etwas von deinem Leben zu erzählen, endet es mit; Ich rede nur Scheiße!
Tue ich ja auch.
Kopfschüttel.

- 2 Stunden später -

Du wolltest mir noch was erzählen.
Ach, ja... Stimmt...
Also?
Also was?
Hast du Borderline?
Ehrlich gesagt, das weiß ich nicht... So etwas hat man bei mir noch nicht festgelegt.
Ja, schon klar. Aber du hast das alles ja gelesen in Wikipedia und so. Du wirst das schon irgendwie wissen, nicht?
Ich weiß echt nicht, ob das so ist, wie es bei mir ist. Aber ich könnte dir erzählen, wie es ist.
Also?
Es ist einfach meine Zuflucht. Sieh es wie ein Ort, zu dem ich flüchte, wenn ich nicht mehr weiterweiß. Das ganze Blut aufzuputzen beschäftigt mich. Oder die Schmerzen danach lenken mich ab, ab von meinen Gedanken...
Von welchen Gedanken?
Das ist egal... Aber weißt du was?
Was?
Ich mache das nicht immer. Ich meine, es würde weh tun, wenn ich es nur so machen würde. Es gibt bestimmte Zeiten; wenn ich so ganz niedergeschlagen bin und ... Ja, zerstört bin. Dann fühle ich gar nicht, wie es weh tut und ich kann es tiefer und fester machen. Ich meine, ich fühle, dass es weh tut, aber ich zucke eben halt nicht zusammen oder reagiere gar nicht darauf...
Das klingt gestört, ich weiß...
Ja, tut es auch. Ich meine, du kannst dich dann fester und tiefer ritzen... Das ist ja...
Ich komme mir auch behindert vor, wenn ich das so sage...
Was ist denn passiert, damit du so bist?
Viel zu viel. Ich will nicht, dass die Menschen meine Geschichte wissen. Sie würden es nicht verstehen, sie würden mich beobachten...
Vergleichst du mich jetzt mit jedem anderen?
Nein, das nicht, aber ... Du würdest dann etwas dagegen unternehmen, weil du denkst, es würde mir dann besser gehen, obwohl du damit alles schlimmer machen würdest.
Tue ich das nicht jetzt schon?
Du unternimmst was, damit es mir besser geht... Aber nicht gegen das, was mich zerstört, weil du nicht mal weißt, was es ist...

Zum ersten Mal redete ich mit einem Menschen, der mir wirklich versucht hat zuzuhören, obwohl er kein Psychiater war. Ich probierte etwas zu erklären, was selbst mir nicht klar war. Obwohl ich mir so behindert und gestört vorkam, machte ich weiter. Vielleicht kam es auch davon, weil er schon wusste, wie behindert ich nun mal war, aber es war ein ungewohntes, irgendwie gutes Gefühl einem ins Gesicht zu blicken und Sachen zuzugeben, die man nicht mal im Kopf durchgehen zu traut. Und er mochte mich immer noch, wie am ersten Tag noch. Er hielt zu mir. War das wie ein bester Freund sich zu verhalten hatte? Dann glaube ich, dass er der erste ist.

Bring dich nicht um, bitte.


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