Ich versuche mir selbst zu reichen und benutze dabei erfolglos Mittel, die das Für-einen-selbst-genug-sein nie gemeistert haben. Ich öffne meinen großen Werkzeugkasten - er ist schwer, alt und rostig. Den habe ich im Jahr 2020/21 von meiner Psychotherapeutin geerbt - ob sie enttäuscht wäre zu wissen, dass viele davon nicht mehr funktionieren?
Deshalb widme ich mich lieber meiner Methodenliste zur Selbstoptimierung - das ist ganz in, davon sprechen jetzt alle. Ich tippe stolz mit dem Finger drauf und scannen sie runter. Welche wird es heute werden? Was kann ich heute tun, um mich weniger weniger wert zu empfinden. Wird es zum zehnten Mal versuchen joggen zu gehen und dann doch nie über die Haustür treten?
Oder vielleicht in Bergen voller Klamotten auf dem Schlafzimmerboden enden, während mich mein Selbsthass und Unwertigkeiten ertrinken. Ich habe mir diesen Trick schon als Jungendliche angewöhnt, so viele Klamotten anprobieren, während ich immer hässlicher werde, aber ich mir dabei meine Haut so viel wie möglich abschrubbe. Danach lege ich mich weinend auf die Couch und das Abschrubben wird nervöser, aber ich gebe nicht auf. Die weichen Sofakissen werden mich schon auffangen, ich lasse mich in sie hineinfallen. Und zum ersten Mal falle ich durch sie hindurch. So viel an mir abgeschrubbt, ich bin hauchdünn geworden. Während ich durch sie durchfalle, falle ich weiter in mich hinein, ich siebe mich durch meine eigene Haut durch. Und falle dabei, einmal mehr, durch all meine Erwartungen und Hoffnungen durch.
Oh Gott, und ich fühle mich dabei so einsam. Ich wurde so oft verlassen, ich muss fast schon über mich selbst lachen. Wie absurd ich mir vorkomme für eine coolere Freundesgruppe im Stick gelassen zu werden, oder für einen schwulen besten Freund, ist wohl jetzt auch in, oder noch besser für einen Vollidioten an Mann.
Allein sein hat sich schon so viele Jahre in meine Haut eingearbeitet - egal wie hart ich schrubbe, es bleibt. Aber es ist zum Glück noch das Einzige, was mich nicht ganz vereinsamen lässt. Denn ich bin jetzt auch schon ein bisschen zu viel verkorkst. Selbst bei den Freunden, die blieben, melde ich mich nicht mehr. Ich verstecke mich stattdessen wie ein kleines Kind hinter Omram. Blicke an seiner Hüfte hervor. Ich klammere mich an seinen Klamotten und hoffe, keinem fällt es auf, wenn ich wieder mal mitgehe. Keinem fällt es auf, dass immer er anruft, immer er schreibt. Dass, wenn ich mich mal melden würde, sie alle merken könnten, wie deplatziert ich mir vorkomme. Wie ich mich immer nur so fühle, als wär ich das romantische Anhängsel von ihrem charmanten Freund. Aber ich verspreche, dass ich es dieses Mal besser versuche. Dass ich versuche liebenswert rüber zu kommen.
Ich versuche warm und unterhaltend zu sein, ich kann auf die lustigste Art verwundet sein.
Ich werde in ihre Handflächen passen, sodass ich es ihnen leicht machen, wenn sie mich gegen andere aufwiegen. Ich werde ihnen perfekt vorsingen und sie können mir bei jedem schiefen Ton mit dem Lineal auf meine Fingerspitzen hauen. Sicher wird es weh tun, aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist: liebt mich. Jeder in diesem Raum, jeder einzelne von ihnen, von euch - bitte liebt mich. Und ich verspreche, ich werde rosa sein. Sanft und essbar und schrecklichst genießbar. Ich werde so widerlich elegant und anmutig sein. Ich werde so viel geben, so viel abgeben - einfach nur mehr süß schmecken.
Dabei werde ich einmal mehr vergessen, wie man sanft für einen selbst existiert. Also werde ich mich noch kleiner machen und noch mehr in ihre Hände begeben. Jemand muss mich am Ende an meiner Wirbelsäule packen, hochheben, wieder gerade biegen. Und im Gegenzug, selbst wenn ich nur atme, ich verspreche, selbst das wird schön werden. Es muss so sein. Ich muss liebenswert sein.
Also werde ich zur Magie - ich bin eine Zaubershow. Ich besetze das Nichts. Fließe aber heraus, um die Kehlen anderer warm zu halten. Ich bin zum Kotzen füllend und erfüllend, ohne dabei überhaupt zu existieren. Ich bin magisch - so gut, so liebenswert, so wunderbar, so klein - dass selbst, die Kiste, in der ich zwei geteilt werde, namenlos bleibt. Ich verspreche, um liebenswert zu sein, werde ich so wenig klein, es ist wird so, als würde ich gar nicht im Raum mehr sein.
Und wenn selbst das nicht reicht...
Spätestens in Jahrzehnten, wenn mein Körper kompostiert und meine kleinen Teile sich in die warme Erde aufbrechen. Sich kleine Käfer und Würmer und Maden um die letzte Wärme in meinem Körper kämpfen. Ich werde zu Erde und die Erde nimmt mich ein. Ich falle durch mich hindurch und ich falle in sie hinein. Meine poröse Haut endlich richtig, so durch und durch durchdringlich. Ich werde kompostieren und ich weiß, ich werde so viel mehr als jetzt wert sein.
